Das Collegium 1704 auf Kavaliersreise nach Wien

Das Collegium 1704 auf Kavaliersreise nach Wien

 

Ein Interview mit Václav Luks, dem Begründer und künstlerischen Leiter des Ensembles Collegium 1704, ist immer erfrischend, unterhaltsam und in vielerlei Hinsicht lehrreich. Dieses Mal ging es um Antonio Vivaldi, Musik von ihm wird das Collegium 1704 im Rahmen des 6. Jahrgangs des Musikfestivals Lednice|Valtice am 23. September im Gartenpalais Liechtenstein in Wien aufführen, sowie um den Film Il Boemo über Josef Mysliveček, der bald in die Kinos kommt.

 
lednice chateau

 
 
Ist wahr, was man sich über Ihr erstes Engagement bei den Salzburger Festspielen erzählt?
Wenn Sie die Geschichte meinen, wie Florian Wiegand, Dramaturg der Salzburger Musikfestspiele, beim Zähneputzen Radio hörte und dort gerade die Live-Aufnahme unserer Aufführung von Bachs h-Moll Messen lief, dann stimmt das, ja. Wir haben ihn damals derartig gefesselt, dass er sich nicht nur die gesamte Übertragung bis zum Schluss anhörte, sondern uns auch zu den Salzburger Musikfestspielen einlud. Solche Zufälle gibt es manchmal.

 
Können wir die bisherigen Auftritte des Collegium 1704 bei den Festspielen kurz umreißen?
Zuerst wurden wir für Bachs h-Moll Messe engagiert, was eine große Ehre war. Ich denke, es war überhaupt das erste Mal, dass sie ein Ensemble aus nicht deutschsprachigem Raum einluden, ein so großes Werk von Bach zu spielen. Anschließend kamen Bibers Missa Salisburgensis und Monteverdis Selva morale e spirituale im Salzburger Dom, der Mitschnitt dieses Konzerts gehört zu den besonders beliebten Aufnahmen der Salzburger Musikfestspiele. Es folgte Alessandro Stradella – das Oratorium San Giovanni Battista, das war ein interessantes Projekt, denn im selben Jahr inszenierte das Festival eine neue Produktion von Strauss‘ Salome, die eine sehr ähnliche Geschichte hat. Unser Konzert war also so eine Art Gegenpol zum Thema Salome. Und unser bisher letztes Projekt in Salzburg war ein Konzert im Rahmen des Blocks geistlicher Musik Overture Spirituelle, bei dem wir eine Gegenüberstellung des größten deutschen und des größten tschechischen Barockkomponisten vornahmen – Johann Sebastian Bach und Jan Dismas Zelenka. Ja, und im nächsten Jahr sollen wir mit Myslivečeks Oratorium Abrahám und Izák zu den Salzburger Musikfestspielen zurückkehren.

 
Bei dem Konzert in Wien werden Sie neben kleineren Kompositionen von Johann Melchior Pichler geistliche Werke Antonio Vivaldis aufführen. Wie war Ihr Weg zum Roten Priester?
Ich denke, dass sich jemand, der sich mit Barockmusik beschäftigt, zu Vivaldi nicht über einen, wie soll ich sagen, mühevollen Weg hocharbeiten muss, denn seine Musik ist zugänglich, dankbar und vielfältig, so dass jeder in seinem Werk sein persönliches Lieblingsrepertoire finden kann. Für das Collegium ist Vivaldi sehr wichtig, schon aus dem Grund, dass wir gemeinsam mit dem Regisseur David Radok nach dreihundert Jahren die szenische Uraufführung der Oper Arsilda, regina di Ponto realisiert haben, was im Kontext von Vivaldis Schaffen eine sehr wichtige Oper ist. Ihr Weg auf die Bühne war ein verhältnismäßig komplizierter. Vivaldi hat sie einige Male überarbeitet, nichts desto trotz war sie ein sehr erfolgreiches Werk und es ist interessant, dass er in ihr keine seiner vorherigen Kompositionen wiederverwendet hat, wie das zur Zeit des Barock üblich war, er hat ganz im Gegenteil Arsilda Melodien für seine späteren Opern entnommen. Augenscheinlich bedeutete ihm dieses Werk viel. Für uns war das einer der wichtigen Meilensteine in unserer Entwicklung, denn es ging um eine große Opern-Koproduktion mit dem Slowakischen Nationaltheater und den Opernhäusern in Luxemburg, Caen und Versailles.

 
Wenn wir über Arsilda sprechen, ist es wahr, dass Prag die einzige Stadt außerhalb Italiens war, in der Vivaldis Opern zu seinen Lebzeiten gespielt wurden?
Das würde ich etwas berichtigen, Prag war mit Sicherheit nicht die einzige transalpine Stadt, in der Vivaldis Opern aufgeführt wurden. Sie wurden in Deutschland gespielt, zum Beispiel in Dresden, Arsilda wurde in Kassel aufgeführt. Prag war aber gewiss eines der wichtigsten Zentren für Vivaldis Musik, und soweit ich weiß die einzige Stadt außerhalb Italiens, für die er Auftragsopern schrieb, nämlich für das Theater Franz Anton von Sporck. Bekanntermaßen war er beim Grafen Wenzel von Morzin angestellt, er trug den Titel Maestro di cappella in Italia, sein italienischer Kapellmeister sozusagen, und Prag hat er vermutlich auch einige Male besucht, wenn es darüber auch keine Belege gibt. Seine Verbindung zu Tschechien war jedenfalls sehr stark, einige seiner Kompositionen sind sogar als Handschrift auf tschechischem Papier erhalten, was davon zeugt, dass er sie wahrscheinlich in Prag komponiert hat.

 
Im Laufe des letzten Jahres, in dem ich mich mit der Persönlichkeit Antonio Vivaldis intensiver auseinandergesetzt habe, hörte ich regelmäßig die Meinung, seine Vokalkompositionen kämen seinen Instrumentalwerken sehr nahe.
Es ist interessant, dass Vivaldi in Opern wirklich häufig Bausteine verwendet, die wir aus seinen Instrumentalwerken kennen. Natürlich weicht spirituelle Musik von dieser Formel ab, schon allein weil Vivaldi darin oft den Chor verwendet. Ich würde sagen, dass seine musikalische Sprache in diesem Genre dem Stil seines älteren Kollegen Antonio Lotti sehr nahe kommt. Schließlich hat Vivaldi sogar einige Stücke Lottis überarbeitet und in seinen eigenen Kompositionen verwendet. Die Sologesangspartien in seinen geistlichen Werken und Opern sind sich sehr ähnlich, wenn er auch in Opern häufiger für Frauenstimmen schrieb. Die Art, auf die er für Frauenstimme schreibt unterscheidet sich stark davon, wie er für Kastraten komponiert, auch die Tessitur (die für die Stimme bequemste Lage, Anm.d.Red.) eines Sopranparts zum Beispiel ist für Frauen- oder Kastratenstimme ein wenig verschieden, bei Partien für Frauenstimme ist sie insgesamt oft etwas höher, und im Gegensatz dazu ist das Mittel etwas tiefer, wenn ein Kastrat in geistlichen Werken wie eine Sopranistin singt und nur wenige, Höhepunkte markierende, Phrasen liegen in der höheren Lage. Die Schreibweise unterscheidet sich da also ein wenig, aber ich würde eher sagen, nach der Lage. Was die Entwicklung von Themen, Melodien, die Arbeit mit dem Orchester, mit der Instrumentation betrifft, ist es sehr ähnlich, aber es ist allgemein bekannt, dass die Grenze zwischen geistlicher Musik und Oper im 18. Jahrhundert längst nicht so schroff war, wie sie insbesondere das 19. Jahrhundert verlangte.

 
Interessieren Sie sich für verschiedene Vivaldi-Interpretationen? Es gibt ja italienische, französische, englische, deutsche…
Selbstverständlich interessiere ich mich dafür! Ich würde sagen, dass Vivaldis Musik durch ihre Schlichtheit oft dazu führt, dass Interpreten das Gefühl haben, sie müssten, wie man so schön sagt, etwas aus ihr machen, und das führt wiederum natürlich zu einer Anpassung an deren Sichtweise, an ihr Naturell und ihre eigene Art zu musizieren. Das ist natürlich nicht nur bei Vivaldi der Fall, in der Barockmusik gilt grundsätzlich, und das beschrieben schon die fahrenden Musiker des 18. Jahrhunderts, dass italienische Orchester anders spielen als deutsche, dass sie eine Vorliebe für Extravaganz haben, für Virtuosität und Farbenreichtum, dafür haben sie keine solche Disziplin. Dass französische Orchester zwar auch sehr undiszipliniert spielen, dafür aber einen sehr förmlichen, klangschönen und geordneten Ausdruck haben, allerdings trägt er kein solches Temperament in sich, wie italienische Interpretationen. Und natürlich ist für die Italiener das Wichtigste die Gesanglichkeit, das Cantabile, die Stimme als das schönste Instrument, welches von allen anderen Instrumenten zu imitieren ist. Das war die grundlegende italienische Sichtweise, auch der Geiger oder allgemein von Musikern, die auf Streichinstrumenten spielten und die ihren Klang immer mit einer Vision von der menschlichen Stimme erzeugten. Deshalb waren auch die größten Violinvirtuosen Italiener und überhaupt gefiel ihnen nicht, wie man in Deutschland spielt, das empfanden sie als Quietschen und Kratzen, das man sich nicht anhören konnte, für die Deutschen waren im Gegensatz dazu das Wort, die Artikulation und die Struktur wichtig. Nicht umsonst haben alle bedeutenden europäischen Geiger die italienische Schule durchlaufen. Der berühmteste von ihnen, Johann Georg Pisendel, war Zeitgenosse und sogar Schüler Vivaldis, anschließend wirkte er als Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle und machte aus Dresden das wichtigste Zentrum für Vivaldis Musik außerhalb Italiens. Sie waren zeitlebens in Kontakt, schrieben sich Briefe, widmeten sich Kompositionen. Die nationalen Besonderheiten des musikalischen Ausdrucks sind in der Barockszene das Interessante. Noch vor vierzig Jahren war es möglich nach Gehör ein russisches von einem tschechischen, deutschen oder amerikanischen Orchester zu unterscheiden, heute sind diese charakteristischen Erkennungsmerkmale nahezu verschwunden. In der Alten Musik jedoch gelten sie nach wie vor und diese Kontraste sind sehr schön.

 
Sie kämpfen also mit der Globalisierung!
Na das in jedem Fall – mindestens mit der musikalischen. (lacht) Was unsere tschechische Vivaldi-Interpretation angeht, würde ich sagen, befinden wir uns in einer sehr ähnlichen Situation wie die Tschechen zur Zeit des Barock, das heißt an einer Kreuzung der Stile, als das italienische Element in unserem Land eindeutig das bedeutendste war. Ich würde behaupten, unsere Interpretation ist dem italienischen Wesen vermutlich am nächsten.

 
Haben die Werke auf dem Programm des Wiener Konzertes Gemeinsamkeiten?
Es handelt sich mehr oder weniger um Kompositionen, die Vivaldi aller Wahrscheinlichkeit nach für das Ospedale della Pietà schrieb und größtenteils wissen wir nicht, unter welchen Umständen sie aufgeführt wurden. Ungeachtet dessen ist interessant, dass gerade durch die Attraktivität des internationalen Exports von Vivaldis Werken, nun viele in diversen Archiven in ganz Europa entdeckt werden. Nur wenige davon aber sind Einzelstücke, so zum Beispiel eben jene Prager Abschrift des Dixit Dominus RV 595, welches wir in Wien aufführen werden. Die Tatsache, dass Abschriften dieser Werke gerade in Prag aufbewahrt werden, zeugt davon, wie populär Vivaldis beziehungsweise italienische Musik in Prag generell war und was für ein wichtiges Zentrum zur Pflege italienischer Musik die Kreuzherrenkirche des Hl. Franziskus von Assisi war. Und damit ist nicht nur liturgische Musik gemeint, die zu den Gottesdiensten gespielt wurde, sondern auch das italienische Oratorium, bei dem ich gern etwas länger verweilen würde, da ich für wichtig halte, dass gerade seine Beliebtheit großen Einfluss auf den tschechischen musikalischen Ausdruck hatte und außerdem dem Prager Mozart-Verständnis den Boden bereitete. Besonders die Neapolitanische Schule hatte eine große Nähe zur Sprache des Wiener Klassizismus. In einer Zeit, in der Bach in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts seinen deutschen Kontrapunkt schreibt, entstehen in Neapel Arien, die mit ihrer Melodizität und ihrer Art der Begleitung in Form des sogenannten Trommelbasses – jam pam pam pam (singt) – und mit einfacher Harmonie, schon ganz klar die musikalische Struktur des Wiener Klassizismus vorweg nehmen. Und das war eine Musik, die auch in Prag gespielt wurde. Also ist es so, dass wir Tschechen uns zwar damit brüsten, wir hätten mit der tschechischen Melodizität den Wiener Klassizismus beeinflusst, das ist aber überhaupt nicht wahr. Vielmehr ist es so, dass tschechische Komponisten von italienischer Musik beeinflusst wurden und in dem Moment, in dem sie nach Wien oder Italien reisten, wie im Falle Myslivečeks, war ihnen dieser italienische bzw. neapolitanische Stil bereits sehr vertraut. Also nichts mit ‚Bei uns wurde der Wiener Klassizismus erfunden‘!

 
Ich persönlich finde faszinierend, wie reich das Prager Archiv des Ritterordens der Kreuzherren mit dem roten Stern ist.
Es ist ungeheuer reich und groß und es ist sehr schade, dass es nicht zugänglich ist, es ist also beschwerlich, sich ein Bild davon zu machen, was sich tatsächlich alles darin befindet. Und dabei geht es nicht nur um Kompositionen von Vivaldi, sondern auch von Lotti, Caldara und weiteren italienische Komponisten dieser Zeit. Ein Archiv solchen Typs legt natürlich Zeugnis darüber ab, wie hervorragend im 18. Jahrhundert der kulturelle Austausch funktionierte. Heute kommt man sehr leicht an Musik, alles mögliche lässt sich mit zwei Klicks im Internet finden, viele Archive sind digitalisiert, ich denke aber, dass es infolge dessen viel wichtiger ist, den wirklichen Willen zu haben, sich Musik nicht nur anzueignen, sondern sie auch aufzuführen. Heute haben wir die Möglichkeiten, nutzen sie aber weit weniger als das noch im 18. Jahrhundert der Fall war. Diejenigen, die Musik unterstützten, machten sich riesige Mühen, damit sie zu uns kam und das betrifft nicht nur die geistliche Musik des Ritterordens der Kreuzherren mit dem roten Stern, sondern zum Beispiel auch die Jesuiten und weitere Orden, die in ganz Europa vertreten waren und eine Art kulturelles Netzwerk bildeten, das sich gegenseitig Musik zukommen ließ. Das galt auch für die Adelsgeschlechter, schließlich hatten in Südmähren im Umkreis von Valtice viele Wiener Adlige ihre Sommerresidenzen, auf diesem Wege kam deshalb italienische Musik aus Wien bis zu uns. Man weiß von Adam Questenberg, Lautenist und Amateur-Komponist, der in Jaroměřice nad Rokytnou die neusten italienischen Opern aufführen ließ.

 
Sie werden in Wien die neuzeitliche Premiere von Werken des österreichischen Komponisten Johann Melchior Pichler aufführen. Finden wir in seinem Fall noch eine andere Verbindung zu Antonio Vivaldi als die Tatsache, dass beide in den Diensten Joseph Johann Adams von Liechtenstein standen?
Danach müssten wir wohl recht hartnäckig suchen. Ich würde gern über ihn sprechen, aber im Allgemeinen ist nicht viel über diesen Komponisten bekannt.

 
Und seine Komposition? Lässt sie sich mit irgendetwas vergleichen?
Ich würde sagen, seine musikalische Sprache ähnelt etwa der italienischer Komponisten an der Wende von Barock und Klassizismus, wie etwa Giovanni Battista Sammartini. Interessant ist jedoch, dass in unserem Gebiet fast nichts von seinem Werk erhalten blieb und dass einige seiner Konzerte und Symphonien in französischen Quellen zu finden sind, aus denen auch ich schöpfte und die sich in der Bibliothèque nationale de France in Paris befinden. Wie Pichler nach Frankreich kam, ist mir nicht bekannt und ich glaube nicht, dass wir das jemals erfahren werden. Seine Kompositionen sind in der Sammlung verschiedener überwiegend italienischer Komponisten erhalten geblieben, und ich glaube, sie waren Gegenstand des Sammlerinteresses von jemandem, der den Band einfach erwarb, ohne damit zu rechnen, dass diese Musik jemals in Frankreich aufgeführt werden würde. Ähnlich wie bei uns die Familie Lobkowicz, die Musik aus ganz Europa sammelte, oft ohne die Ambition diese dann auch aufzuführen. Wir wissen, dass sie Drucke von Lullys Opern in ihren Sammlungen hatten, die bei uns natürlich nie gespielt wurden. Ähnlich exotisch wie Lully in unserem Land, hätte Pichler während des Barock in Frankreich wirken können.

 
Ein Film über Josef Mysliveček vom Regisseur Petr Václav kommt in die Kinos, in dem das Collegium 1704 eine unersetzbare Rolle spielt. Aber gewiss! Der Film ist auf Italienisch eingespielt worden, tschechisch ist darin nur eine einzige Szene. Er soll irgendwann im Herbst in die Kinos kommen, ein konkretes Datum fiel noch nicht. (Kinostart in der tschechischen Republik ist der 16.12.2021, Anm.d.Red.)

 
Welche Phase in Myslivečeks Leben umreißt der Film?
Seine gesamte Italien-Zeit, ab dem Moment der Ankunft Myslivečeks in Venedig 1767 bis zu seinem Tod in Rom im Jahre 1781, also in etwa fünfzehn Jahre seines Lebens.

 
Welche Musik von Mysliveček werden wir hören?
Sie werden unfassbar viel hören! Ungefähr achtzig Prozent der Filmmusik stammt von Josef Mysliveček. Natürlich wird hier ein besonders wichtiger Moment seiner Karriere gezeigt – der Erfolg seiner Oper Bellerofonte in Neapel, außerdem gibt es Musik aus der Oper L’Olimpiade, Szenen aus der Oper Romolo ed Ersilia und Instrumentalmusik – ein Violin- und ein Klavierkonzert, überwiegend aber natürlich Oper. Wichtig ist, dass Musik in diesem Film nicht nur als Untermalung dient, sondern eine tatsächliche Rolle spielt. Es gibt lange Szenen, in denen nahe gebracht wird, wie zu damaliger Zeit eine Operninszenierung aussah, dazugehörige Realien eingeschlossen. Für manche Menschen wird es vielleicht ein wenig überraschend oder gar schockierend sein, dass der Zuschauerraum erleuchtet war und die Leute sich normal unterhielten. Man weiß vom Abscheu des englischen Reisenden Charles Burney für das unglaubliche Chaos in italienischen Theatern, die Sänger sind aufgrund des Lärms nicht zu hören, in den Logen wird gegessen…Oper war einfach ein gesellschaftliches Ereignis, das mindestens bis zum zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts von der Idee eines eleganten Abends in Abendrobe himmelweit entfernt war. All diese Realien zeigen wir im Film, aber natürlich geht es hauptsächlich um Myslivečeks Lebensgeschichte und eine gewisse hypothetische Rekonstruktion vom Aufstieg und Fall eines der erfolgreichsten Opernkomponisten der damaligen Zeit.

 
Wieviel Fiktion ist im Film und wieviel reale Fakten? Können wir eine ähnliche Verarbeitung wie etwa in Formans Amadeus erwarten
Miloš Forman hat einen Film gedreht, der sich nicht zum Ziel gesetzt hat, Mozarts Leben zu zeichnen, sondern es ging um die filmische Adaption eines Schauspiels von Peter Shaffer. Schon dadurch war eigentlich gegeben, dass er die Gewässer der Realität verlässt, es ging dabei um eine gewisse künstlerische Freiheit. Wollen wir einen Film über Mysliveček drehen, kommen wir um künstlerische Freiheit gar nicht herum, denn über sein Leben in Italien wissen wir so wenig, es gibt mehrere Löcher darin, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als uns gründlich mit den damaligen Umständen vertraut zu machen und uns dann um eine gewisse Hypothese zu bemühen.Wie war es möglich, dass ein absolut unbekannter Komponist aus dem Nichts heraus ein solcher Star wurde und dass dieser gigantische Stern so rasch wieder erlosch? Petr Václav bietet eine mögliche Erklärung an, aber er besteht nicht darauf, dass es wirklich so war. In jedem Fall geht es um ein so interessantes und so provokantes Thema, dass es sich lohnt, Antworten zu suchen.

 
Haben Sie den Film schon gesehen, und wenn ja, was haben Sie für einen Eindruck von ihm?
Das kann ich jetzt nicht verraten und es ist auch gar nicht relevant, ob ich persönlich begeistert bin. Wichtig ist, wie das Publikum den Film annimmt.

 
Trotzdem, wie ist Ihre Erwartung?
Dass das einfach ein erfolgreicher Film wird. Es ist wichtig, ihn als Kunstwerk zu betrachten, mit dieser Perspektive. Es ist kein Dokumentarfilm, kein historisch-pädagogisches Programm, es ist ein Kunstwerk, dem eine außergewöhnliche Hingabe zuteil wurde und das die grundlegenden Attribute eines schönen historischen Spektakels trägt, mit schönen Kostümen, schöner Musik und dem großartigen Vojtěch Dyk in der Rolle von Josef Mysliveček.

 
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Der Gründer und künstlerische Leiter des Orchesters Collegium 1704 und des Vokalensembles Collegium Vocale 1704, Václav Luks, studierte Horn am Konservatorium in Pilsen und Cembalo an der Akademie der musischen Künste in Prag. Sein stetig wachsendes Interesse an der Alten Musik wurde gekrönt von einem Studium an der Schola Cantorum Basiliensis in der Schweiz im Bereich historische Tasteninstrumente und historische Aufführungspraxis, gefolgt von einer langjährigen Tätigkeit als Solohornist im renommierten Ensemble der Akademie für Alte Musik in Berlin. Neben seinen beiden Heimatensembles arbeitet er mit anderen Spitzenensembles wie der Camerata Salzburg, La Cetra Barockorchester Basel, Dresdner Kammerchor oder Ensemble Pygmalion zusammen, mit dem er Purcells Oper Dido et Aeneas beim Festival d’Aix-en-Provence aufführte. Als Teil eines Benefizkonzerts zur Wiedererrichtung der Notre Dame Kathedrale in Paris dirigierte er das Orchestre national de France. Er arbeitet mit den Radiosendern Radio France, Deutschlandradio Berlin, ÖRF und dem schweizer Sender DRS zusammen. Nicht nur mit dem Orchester, sondern auch solistisch nimmt er für die Musikverlage ACCENT, Supraphon und Zig-Zag Territoires auf. Im Mai 2021 eröffnete er mit seinem Collegium 1704 und Smetanas Mein Vaterland das Internationale Musikfestival Prager Frühling.