Antonio Vivaldi (1678–1741)
Konzert für Streicher C-Dur RV 114
I. Allegro
II. Adagio
III. Ciaccona
Konzert für zwei Violinen g-Moll RV 517
(Bearbeitung für Violine und Cembalo)
I. Allegro
II. Andante
III. Allegro
Konzert für Violoncello a-Moll RV 421
I. Allegro non troppo
II. (Largo)
III. Allegro
Violinkonzert A-Dur RV 344
I. Allegro
II. Largo
III. Allegro
Konzert für Streicher d-Moll RV 128
I. Allegro non molto
II. Largo
III. Allegro
Violinkonzert e-Moll RV 278
I. Allegro molto. Andantino
II. Largo
III. Allegro
Konzert für Violine und Violoncello F-Dur RV 544
„Il Proteo o sia il mondo al rovescio“ (Proteus oder Die Welt steht Kop)
I. Allegro
II. Largo
III. Allegro
– Das Konzert ist ohne Pause –
Gli Incogniti
Amandine Beyer, Barockvioline & künstlerische Leitung
Helena Zemanová & Vadym Makarenko, Violine
Marta Páramo, Viola
Marco Ceccato, Cello
Francesco Romano, Theorbe
Baldomero Barciela, Violone
Anna Fontana, Cembalo
Bereits seit vielen Jahren ist sie eine unübersehbare Figur und für viele ein Interpretations-Vorbild im Bereich der Barockmusik. Ihre Einspielung der Sonaten und Partiten von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 2012 wurde mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet – Diapason D’Or, Editor’s Choice des Magazins Gramophone, Choc de Classica de l’année, Prix Académie Charles Cross und weitere. Sie teilt ihre Zeit zwischen verschiedensten Ensembles auf: ein Duo mit Pierre Hantaie, Les Cornets Noirs, spezialisiert auf italienische und deutsche Musik des 16. und 17. Jahrhunderts, Kitgut Quartet, ein Streichquartett, das auf historischen Instrumenten spielt, und die Gruppe Gli Incogniti, die sie 2006 gründete und mit der sie die meisten Trophäen einsammelte. Neben der Konzerttätigkeit ist eine weitere Leidenschaft Amandie Beyers das Unterrichten. Seit 2010 unterrichtet sie an der Schola Cantorum Basiliensis in der Schweiz, außerdem an der Escola Superior de Música e Artes do Espectáculo (ESMAE) in Porto und sie leitet regelmäßig Meisterkurse auf der ganzen Welt (Frankreich, Taiwan, Brasilien, Italien, Spanien, USA, Kanada).
Das französische Ensemble Gli Incogniti wurde 2006 von Amandine Beyer und ihren Freunden gegründet. Inspiration war für sie die künstlerische Formation Accademia degli incogniti (Akademie der Unbekannten), die im 17. Jahrhundert in Venedig wirkte. Die Gruppe leitete von ihr nicht nur den Namen ab, sondern auch die liberale Denkart, die sich in einer Vorliebe für alles Unbekannte spiegelt, in Klangexperimenten, im Suchen nach neuem Repertoire und in einer Neuentdeckung der „Klassiker“. Zu einem solchen Projekt gehört beispielsweise die Show The six Brandenburg Concertos in Zusammenarbeit mit der Tanzgruppe Rosas a B’rock Orchestra, die in Berlin, New York, Paris, Lissabon und Hongkong Erfolge feierte. Von der Spitzenqualität des Ensembles zeugen Konzerte im Théâtre des Champs-Elysées in Paris, in der Wigmore Hall in London, der Oji Hall in Tokio und bei den interantionalen Festivals in Boston, Bergen, Monte-Carlo, Montpellier und Ile-de-France. Die Gruppe hat bereits fünfzehn CDs eingespielt, die mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet wurden: dem Gramophone Award, dem BBC Musical Choice, dem Diapason d’Or, dem Preis der deutschen Schallplattenkritik und weitere. Besonders die Einspielungen von Kompositionen Antonio Vivaldis – Vier Jahreszeiten für den Verlag Zig-Zag Territoires und Il Teatro alla moda für Harmonia Mundi – gehören zu den erfolgreichsten. „Jede Komposition auf dieser Aufnahme ist ein Drama voll von Charakteren, die auftreten, Monologe führen, in Konversation treten,“ beschrieb Lindsay Kemp im Magazin Gramophone treffenderweise die künstlerische Denkart des Ensembles. Teil der Aktivitäten von Gli Incogniti ist seit 2017 das Programm Academy für Menschen, die sich für die Interpretation Alter Musik interessieren und ganz frisch und sympathisch ist ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung ARVIVA, deren Mitglieder sich im Rahmen ihrer Konzertaktivitäten um einen möglichst schonenden Umgang mit unserem Planeten bemühen. Gli Incogniti werden von der DRAC Nouvelle-Aquitaine und der Region Nouvelle-Aquitaine unterstützt.
„Einer meiner besten Freunde, der Geiger und Tänzer Olivier Fourés, träumt oft von Vivaldi. Er trifft ihn immer in Venedig, Vivaldi wirbelt sich im Kreis herum und schreit, und wenn er sich dann zu ihm umdreht, wacht Olivier auf. Für mich ist dies die Geschichte von Vivaldi! Ich habe das Gefühl, er sei hier, ohne dass er wirklich da ist. Ich nehme seine Energie wahr, ich stelle mir all die venezianischen Balkone vor, die Vögel, die Menschen unter den Fenstern, den Geruch der Kirche, seine tägliche Arbeit mit den Mädchen vom Ospedale della Pietà. Vivaldi ist für mich ein Magnet, dank dem neue Dinge in meinem Leben passierten und nach wie vor geschehen, ohne dass ich weiß, warum. Er ist ein Amulett, das mir Glück bringt.“ (Amandine Beyer)
Im vierten Festivalkonzert stellen wir die Welt auf den Kopf. Keine Sorge, wir werden Sie nicht zwingen, in Ihrer Abendrobe Bodenturnen zu trainieren, aber wir betrachten das Werk Antonio Vivaldis im Lichte der Abschluss-Komposition des Abends – des Konzerts für Violine und Cello in F-Dur RV 544 mit dem Untertitel „Il Proteo o sia il mondo al rovescio“. Mit anderen Worten werden Sie einen Vivaldi zu hören bekommen, der die Musik diesmal aus einer unerwarteten Perspektive betrachtet. Dafür steht dieses Konzert, bei dem die Partien der Soloinstrumente getauscht. Im ersten Satz ist auch die Bratschenbegleitung erwähnenswert, von der Amandine Beyer sagt, „dass sie an den Metallrahmen eines Spiegels erinnert, der sich im Glas widerspiegelt“. Genauso unkonventionell zeigen sich die anderen Solokonzerte des Programms: Das Cellokonzert a-Moll RV 421 beginnt untypisch fast wie eine Sonate für Violoncello und Basso continuo und das Violinkonzert A-Dur RV 344, das in der berühmten Pisendel-Sammlung in Dresden aufbewahrt wird, besticht durch seine leicht „verzerrte“ Intonation. „Diese ganze Komposition ist völlig wirr. Ein bisschen wie Filmmusik, wie ein Western!“, sagt Beyer dazu. Interessant ist, dass der berühmte Geiger Johann Georg Pisendel (1687–1755) darin mehrere Kadenzen geschrieben hat, aber niemand weiß, welche wo hingehört, so dass sich auch die Solistin dieses Abends „einfach eine Stelle ausgesucht“ hat. Besonderes Augenmerk legen wir auf das Violinkonzert e-moll RV 278, eine wunderbare Komposition, die eigentlich nicht als Konzert bezeichnet werden kann, da die Orchesterstimmen viel komplizierter sind als der Solopart. Es erweckt den Eindruck einer Art barocker symphonischer Dichtung, mit stürmischer Musik, in der permanent etwas passiert. RV 278 gehört bereits zum letzten Lebensabschnitt Vivaldis, in dem er irgendwann um 1729–1730 mit seinem Vater eine Reise nach Wien unternahm und vermutlich auch in Tschechien Halt machte. Das Konzert ist, wie auch die Kammerkonzerte für Laute für Johann Joseph von Wrtby (1669–1734) auf Notenpapier mitteleuropäischer Herkunft geschrieben. Besonders der zweite Satz dieser Komposition besticht durch seine schönen klangmalerischen Abschnitte. Der Abschluss ist wieder etwas skurril, sodass man eigentlich gar nicht erkennt, dass es schon zuende ist. Ein interessanter Programmpunkt sind Vivaldis Konzerte für zwei Instrumente: das bereits erwähnte Il mondo al rovescio, von dem Beyer sagt, es sei „wie eine Schaukelstange“ und das Konzert g-Moll RV 517 in einer Bearbeitung für Violine und Cembalo. „Die Farbe der Instrumente war für Vivaldi etwas außergewöhnlich reizvolles und er arbeitet viel damit in seinen Kompositionen. Wenn man die Besetzung von zwei Geigen auf eine Geige und eine Orgel oder ein Cembalo wechselt, verändert die Komposition plötzlich komplett ihren Charakter“, sagt Beyer. Vivaldi schrieb seine Doppelkonzerte vor allem für seine Schülerinnen am Ospedale della Pietà, die er in die Welt des Solospiels einführen wollte, oder für besondere Anlässe in Verbindung mit einem Feiertag, also für Momente, in denen er mehr Geld zur Verfügung hatte. Komponisten im Barock waren schlicht Pragmatiker. Ergänzt wird das Programm durch zwei reizvolle Konzerte rein für Streichinstrumente mit den Katalognummern RV 114 und RV 128. Das erste davon trägt vor allem durch den punktierten Rhythmus Elemente französischer Musik, das zweite ist laut Amandine Beyer absolut orientalisch Musik. „Im ersten Satz fühle ich mich, als säße ich in einem türkischen Zug“, sagt sie schmunzelnd. Nun, il mondo al rovescio!