Antonio Vivaldi (1678–1741)
Concerto da camera a-Moll RV 108
I. Allegro
II. (Largo)
III. (Allegro)
Nicolas Chédeville (1705–1782)
Konzert Nr. 1 E-Dur„Le Printemps“ (Der Frühling) aus der Sammlung „Les saisons amusantes“ Op. 8 (nach Vivaldi)
I. Allegro
II. Largo
III. Danza pastorale. Allegro
Antonio Vivaldi
Concerto D-Dur RV 90 „Del gardellino“ (Stieglitz)
I. Allegro
II. Largo
III. Allegro
– Pause –
Concerto da camera g-Moll RV 105
I. Allegro
II. Largo
III. (Allegro)
Concerto intitolato g-Moll RV 104 „La notte“ (Die Nacht)
I. Largo
II. Fantasmi. Presto (Trugbilder)
III. Largo. Andante
IV. Presto
V. Il sonno. Largo (Schlaf)
VI. Allegro
Concerto F-Dur RV 98 „La tempesta di mare“ (Meeresunwetter)
I. (Allegro)
II. Largo
III. Presto
Jakub Kydlíček, Blockflöte & künstlerische Leitung
Jiří Sycha & Vojtěch Jakl, Barockvioline
Tereza Samsonová, Barockoboe
Michaela Bieglerová, Barockfagott
Věra Kousalíková, Barockcello
Lukáš Vendl, Cembalo & Orgelpositiv
Barbora Hulcová, Theorbe
Concerto Aventino wurde 2009 vom Flötisten und Musikologen Jakub Kydlíček gegründet. Vorrangiges Interesse des Ensembles gehört europäische Musik des 16.-18. Jahrhunderts und seine Vorliebe für thematische Dramaturgien aus weniger bekannten, jedoch hochwertigen Kompositionen dieser Epoche. So entstanden interessante Programme wie Concerti de Napoli (italienisches Repertoire um 1700), das Projekt Explorationen-Traditionen, wobei das Ensemble gemeinsam mit dem Leipziger Michaelis Consort Alte Musik und Film miteinander verknüpft hat, kollektive Aufführungen von Werken Jean-Féry Rebels, Georg Muffats und Francesco Onofrio Manfredinis oder das Programm Sacra et concentus, das sich mit flämischer Polyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts beschäftigt. Das Ensemble engagiert sich auch im Operngenre, für das Festival Smetanova Litomyšl studierte es Händels Oper Aci, Galatea e Polifemo und Paris und Helena Christoph Willibald Glucks ein. Es führte außerdem die tschechische Premiere von Les amours de Ragonde von Jean-Joseph Mouret auf. Seine außergewöhnliche Leistung war das Herausbringen der eigenen Edition und deren anschließende Aufführung des Kodex Speciálník, oder auch Speciálníku královéhradeckého, einer tschechischen handschriftlichen Schlüsselquelle der frühen Renaissancepolyphonie vom Ende des 15. Jahrhunderts. Auch was das Schaffen Antonio Vivaldis angeht, sucht sich das Ensemble eher weniger frequentierte Werke heraus. Zu ihren bisher größten Vivaldi Projekten gehört die Aufführung seiner Motetten.
Jakub Kydlíček lässt sich als ein Musiker mit sehr breitem Spektrum charakterisieren, der sich stark für die Musik des 14.-18. Jahrhunderts interessiert. Er studierte Blockflöte und Dirigat am Konservatorium Pilsen und zuletzt an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis in der Schweiz, wo er sich im Rahmen seines postgradualen Studiums auf die Interpretation von Musik des späten Mittelalters und der frühen Renaissance spezialisierte. Im Rahmen einer Reihe von Meisterkursen bildete er sich zudem in den Bereichen Dirigat und historische Improvisation weiter und promovierte dazu noch im Fach Historie an der Philosophischen Fakultät der Westtschechischen Universität Pilsen, ausgerichtet auf Nahoststudien und die arabische Sprache mit Studienaufenthalten an der Universität Damaskus in Syrien und dem Institute Bourguiba in Tunesien. Auf dem Feld der Alten Musik arbeitet er mit bekannten tschechischen Gruppen wie dem Collegium 1704, dem Collegium Marianum, dem Czech Ensemble Baroque und der Schola Gregoriana Pragensis zusammen, mit denen er sich auf renommierten Konzertpodien (Semperoper in Dresden, Grand Théâtre de Luxembourg) und auf internationalen Festivals (Prager Frühling, Salzburger Festspiele) präsentierte. Im Jahr 2009 formierte er sein eigenes Ensemble Concerto Aventino und ist außerdem Gründungsmitglied des Blockflötentrios Tre Fontane. Neben seiner Konzerttätigkeit leitet er die Blockflötenklasse und das Barockorchester am Prager Konservatorium, seit 2018 unterrichtet er Blockflöte an der Masaryk Universität Brünn.
„Concerti da camera von Antonio Vivaldi regen direkt zum spontanen Musizieren an, sind einzigartig in ihrer Spontaneität. Sie erinnern mich an eine kleine Jam-Session, die einem viel künstlerische Freiheit und eine Reihe unerwarteter, ungeplanter Momente bringt.“ (Jakub Kydlíček)
Antonio Vivaldi schrieb 22 sogenannte Concerti da Camera, Kompositionen für kleinere Besetzungen, in denen er mehr als zwei Instrumente miteinander verbindet. Daher das Wort Concerto oder auch Zusammenklang. Die ganze Serie entstand als Ganzes um 1720, als Vivaldi in Mantua war. Nicht zuletzt deshalb wird spekuliert, dass er es im Auftrag eines unbekannten Kunden geschrieben hat, nicht für seine Schülerinnen am Ospedale della Pietà. Er verwendete hier Instrumentenkombinationen, die sich in seinen „großen“ Konzerten nicht finden lassen, am häufigsten sind das Flöte, Oboe, Violine und Fagott, obwohl er diese Kammerkompositionen dann sehr oft in die Form eines klassischen Konzerts umarbeitete. La tempesta di mare, Il gardelino, La notte – sie alle haben ihren „größeren“ Bruder. Die Interpretation der Kammerkonzerte erfordert große spieltechnische Fähigkeiten, da man darin immer eine Zeitlang Solist ist, dann wieder Teil des Ensembles. Diese bestimmte Art von Variabilität macht es für den Zuhörer oft viel spannender als die großen Konzerte es sind. Vivaldi gab seinen Kammerkonzerten gerne aus heutiger Sicht programmatische Namen. „Bereits seit dem Mittelalter entstanden etliche klangmalerische Kompositionen. In dieser Zeit wurde mit dem Begriff musica poetica gearbeitet, was soviel heißt wie Worte und Rhetorik durch Musik darzustellen“, erklärt Jakub Kydlíček. In Il gardelino ist auf diese Weise die ganze Zeit ein Stieglitz präsent: in punktierten Figuren, in Quartsprüngen oder Tonwiederholungen unter dem Bogen. Es ist weder die erste noch die letzte von Vivaldis Komposition, die den Gesang von Vögeln imitiert, er verwendet beispielsweise auch die Nachtigall, den Kuckuck oder die Taube in den Vier Jahreszeiten. Nichts Unbekanntes – Barockkomponisten waren vom Vogelgesang fasziniert, in England wurden sogar Musikbücher mit dem Namen Des Vogelfängers Freuden veröffentlicht. Im Konzert La tempesta di mare erwarten uns schnelle, die Wellen imitierende Passagen, in denen sich die damalige Sicht auf das Meereselement widerspiegelt – nicht als Schaum an der Wellenspitze, sondern als gesellschaftlich wichtiges Thema. „In seinem Werk Über die Seele beschreibt Aristoteles drei Arten von Menschen: die Lebenden, die Toten und das Meer. Der barocke Mensch verstand das Meer als Übergangsphase zwischen Leben und Tod. Es war sehr ernst für ihn, ich würde sagen, eine Lebensfrage, die wir heute mit einem Terroranschlag vergleichen können. Deshalb ist es definitiv nichts Idyllisches und Schönes, wenn Vivaldi einen Sturm beschreibt“, sagt Jakub Kydlíček. Ebenso verstanden die Menschen im Barock die Nacht, was man im Kammerkonzert mit dem Beinamen La notte schön hören kann. Es ist auch in der Anzahl der Sätze außergewöhnlich. „La notte ist eine sehr wilde, unheimliche Musik, die auf und ab ‚fliegt‘, man findet eine Parodie auf das Opernrezitativ, lange klangmalerische Flächen im Teil Il sonno, und das ganze Konzert scheint kein Ende zu haben. Bemerkenswert ist Vivaldis Spiel mit der Zeit, viele Pausen, die die Spannung erhöhen. Der Flötist Giovanni Antonini sagt, dass die Flöte hier eine verlassene Seele darstellt, um die Dämonen in Form von Streichern schwärmen“, erklärt Jakub Kydlíček die Komposition. Die zweite Konzerthälfte steht daher im Zeichen von Geistern und Naturelementen. Welch eine Erleichterung, dass zumindest die erste optimistisch ist! Sie wird dominiert von einer charmanten Adaption des Frühlings aus den Vier Jahreszeiten vom französischen Komponisten und Virtuosen auf einem Instrument namens Musette, Nicolas Chédeville (1705–1782), der seine Bearbeitung jedoch ohne Vivaldis Wissen anfertigte und das Werk sogar schamlos als Antonio Vivaldi signierte. Angeblich, um die Ware besser verkaufen zu können. Tja, das Urheberrecht steckte damals noch in den Kinderschuhen. Das waren vielleicht Zeiten!