Antonio Vivaldi (1678–1741)
Dorilla in Tempe RV 709, Vorspiel zur Oper
Violinkonzert C-Dur RV 189
I. Larghetto
II. Allegro non molto e pianissimo
III. Largo
IV. Allegro molto
Fagottkonzert g-Moll RV 496
I. (keine Tempobezeichnung)
II. Largo
III. (keine Tempobezeichnung)
Violinkonzert F-Dur RV 286
I. Largo molto e spiccato
II. (Allegro moderato)
III. Largo
IV. Allegro non molto
– Pause –
Bajazet/Tamerlano RV 703, Vorspiel zur Oper
Violinkonzert B-Dur RV 371
I. Allegro ma poco
II. Larghetto
III. Allegro
Violinkonzert h-Moll RV 390
I. Andante molto
II. Allegro non molto
III. Larghetto
IV. Allegro
Europa Galante
Fabio Biondi, Dirigent & Barockvioline
Fabio Ravasi, Beatrice Scaldini & Barbara Altobello, 1. Violine
Andrea Rognoni, Silvia Falavigna & Rossella Borsoni, 2. Violine
Stefano Marcocchi & Simone Laghi, Viola
Alessandro Andriani & Perikli Pite, Cello
Patxi Montero, Kontrabass
Giangiacomo Pinardi, Theorbe
Paola Poncet, Cembalo
Sergio Azzolini, Barockfagott
“Getrieben von Neugier ist er ein Musiker, der sich ständig um einen Stil ohne jegliche Einschränkung bemüht,” lautet der erste Satz aus dem Lebenslauf des Geigers und Dirigenten Fabio Biondi. Er begann unter der Anleitung von Pionieren der historischen Aufführungspraxis und arbeitete maßgeblich mit Les Musiciens du Louvre und The English Concert zusammen, bevor er sich 1990 entschloss, ein eigenes Ensemble zu gründen, Europa Galante. Die New York Times nennen ihn etwas trocken einen “Violinvirtuosen jenseits jeglicher Beanstandungen”, wohingegen Charlotte Gardner sich in der britischen Gramophone nicht scheute, seine Aufnahme von Paganinis Sonaten als “absolute Bombe” zu bezeichnen. Die Violinkunst Fabio Biondis wird nur noch unterstrichen von Einladungen zu Solo Rezitals in die Carnegie Hall in New York, die Wigmore Hall in London oder in die Cité de la Musique in Paris. Als Dirigent arbeitete er mit dem Chicago Symphony Orchestra, dem Orchestra dell’Accademia nazionale di Santa Cecilia in Rom, dem hr-Sinfonieorchester, der Philharmonie Bergen oder dem Mahler Chamber Orchestra zusammen. In den Jahren 2015–2018 war er musikalischer Direktor des Palau de les Arts Reina Sofía in Valencia und elf Jahre lang, bis 2016, wirkte er in der Position des künstlerischen Direktors der Barockmusik Sektion des Symphonieorchesters in Stavanger. Seit 2011 ist er Mitglied der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, 2015 wurde ihm der französische Orden für Kunst und Literatur verliehen und im Jahr 2019 erhielt er für außergewöhnliche künstlerische Erfolge die Medaille für Mut und Ehre der polnischen Regierung.
“Je schlichter die Musik ist, umso mehr gelingt es Azzolini mit feinen Verzierungen zu verzaubern,” schrieb Lindsay Kemp in der Zeitschrift Gramophone nachdem sie das, der Reihenfolge nach, dritte Album der Gesamteinspielung von Vivaldis Fagottkonzerten angehört hatte, die Sergio Azzolini seit 2015 für den Verlag Naïve aufnimmt. Er selbst vergleicht Vivaldis Fagottkonzerte mit der komischen Figur des Harlekin aus der Comedia dell’arte. Der gebürtige Bozener ist ein unwahrscheinlich vielseitiger Fagottist, der sich neben dem Spiel des modernen Instruments parallel dem Barockfagott widmet. In diesem Fach arbeitete er als Solist beispielsweise mit dem Ensemble Baroque de Limoges, dem Concentus Musicus Wien, der L’Aura Soave Cremona oder der Accademia Bizantina zusammen. Im Jahr 2013 gründete er sein eigenes Alte Musik Ensemble L’Onda Armonica. Neben der renommierten Vivaldi Edition beim Label Naïve finden wir seine Einspielungen bei den Verlagen EMI, Sony und Chandos. Sergio Azzolini ist Gewinner des ARD Wettbewerbs München und des Internationalen Wettbewerbs Prager Frühling. Seit 1998 unterrichtet er an der Musikhochschule in Basel.
„Wir sollten unser Talent in das hineinlegen, was die Musik unserem Gefühl nach von uns erwartet. Niemals sollten wir Musik dazu benutzen, den Wert unseres Talents zu zeigen.“ (Fabio Biondi)
„Vivaldis Konzert für Fagott g-Moll RV 496 erscheint mir persönlich als eine geniale Musik mit Geschichte. Ohne Scham würde ich ihm den Spitznamen „Il sospetto“ geben oder es misstrauisch, beängstigend oder unruhig nennen. Der erste Satz erzählt mit einer großen Portion Melancholie von einem Geheimnis, der zweite ruft in mir die Vorstellung eines Gebets hervor und der dritte birgt einen Hauch von Tapferkeit und den Willen sich einem missgünstigen Schicksal nicht zu ergeben in sich. Das ganze Konzert scheint wie das Bild eines Menschen voller Melancholie, der keine Worte findet, also erzählt er seine Geschichte durch die Musik.“ (Sergio Azzolini)
Die italienische Formation Europa Galante gehört bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1990 zur absoluten Weltspitze unter den Ensembles, die sich mit historisch informierter Aufführungspraxis auseinandersetzen. Ihr Hauptrepertoire liegt bei italienischen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts und die Musik Antonio Vivaldis nimmt darin einen Ehrenplatz ein. Die Aufnahme der Vier Jahreszeiten wurde Album des Jahres in mehr als fünf Ländern. In der Diskographie des Ensembles finden sich die Opern Bazajet, Oracolo in Messenia und Ercole sul Termodonte, herausgegeben beim Label Warner Classics in Zusammenarbeit mit Gesangs-Stars wie Joyce DiDonato, Diana Damrau, Philippe Jaroussky, Vivica Genaux oder Rolando Villazón. Ihr derzeit letzter Akt ist Vivaldis Oper Argippo für den Verlag Naïve, ein Projekt, das in Wien, Madrid, Sevilla und Shanghai auch konzertant realisiert werden sollte. Europa Galante gastiert regelmäßig in den berühmtesten Sälen von Rom bis Tokio (Accademia di Santa Cecilia in Rom, Pierre Boulez Saal in Berlin, Teatro alla Scala in Mailand, Concertgebouw Amsterdam, Wiener Musikverein, Musée d’Orsay in Paris, Lincoln Center in New York, Opera in Sydney oder Suntory Hall in Tokio). Seit 2016 arbeiten sie eng mit dem Chopin Festival in Warschau zusammen, wo sie jedes Jahr auf historisch informierte Weise eine Oper aus der Zeit des Belcanto aufführen – Verdi, Rossini, Bellini und weitere. “Für diejenigen, die Alte Musik lieben, sind sie eine Legende. In einer Welt, die aus philologischer Sicht unbedeutend ist und aus musikalischer Sicht versteift, sind sie wie ein seismologischer Ausbruch. Heute raffinierter denn je, aber niemals um den Preis des Seelenverlustes.” (La Repúbblica, 2019)
Zentrales Thema des Abschlusskonzerts des LVHF 2021 sind vier Violinkonzerte aus der sogenannten Collalto-Sammlung: C-Dur RV 189, F-Dur RV 286, B-Dur RV 371 und h-Moll RV 390. Im Jahr 1741, auf den Tag genau einen Monat vor seinem Tod, verkaufte Antonio Vivaldi sie für zwölf ungarische Dukaten an Graf Tommaso Vinciguerra, den VI. Grafen von Collalto und San Salvatore (1710–1768), der auf der Burg in Brtnice lebte. Die Sammlung umfasste vermutlich fünfzehn Konzerte und eine Sinfonie. „Es handelt sich hierbei nicht um Spätwerke Vivaldis, sondern um Kompositionen unterschiedlicher Zeiten, trotzdem haben sie einen gemeinsamen Nenner: In allen Fällen geht es um sehr virtuose Musik und, was vielleicht noch interessanter ist, sie strahlen alle eine große Nostalgie aus. Tief in ihrem Inneren spüre ich einen Raum für den Abschied vom Leben“, sagt Fabio Biondi zu dieser Musik. „Ich denke, Vivaldi hat vor seiner Abreise nach Wien eine Auswahl getroffen, bei der es sich um eine Art Anthologie der Trauer handelt. Er fühlte sich völlig aus der Mode gekommen, er wusste sehr gut, dass das Publikum begann, ihn zu vergessen. Ich glaube, seine ganze Reise nach Wien war ein schmerzhaftes Abschiednehmen vom Leben. Er ist Euch näher gekommen, weil die tschechischen Länder für seine Musik noch empfänglich waren, und er nahm Konzerte mit, die sein ganzes Können demonstrierten“, fügt er hinzu. Eine der wichtigsten Persönlichkeiten in Vivaldis Leben war Graf Wenzel von Morzin (1675–1737), dem Vivaldi seinen berühmtesten Zyklus Die Vier Jahreszeiten widmete. Vivaldi war Morzins Maestro di musica in Italia und es ist belegt, dass der Graf bei ihm regelmäßig Kompositionen für seine berühmte Prager Musikkapelle bestellte. So entstand höchstwahrscheinlich auch das Konzert für Fagott g-Moll RV 496, das Wenzel von Morzin gewidmet ist. Vivaldi hat es – eine weitere Vermutung – für den berühmten Fagottisten aus Morzins Kapell, Antonín Möser, geschrieben, der für sein virtuoses Spiel auf diesem Instrument berüchtigt war. Und tatsächlich: Vivaldi scheut sich nicht, hier Techniken anzuwenden, die sich in großer Zahl in seinen Violinkonzerten finden lassen: Arpeggien oder zerlegte Akkorde, Registersprünge und schnelle Läufe. Vor allem zwischen 1728 und 1737 schrieb Il prete rosso für Fagott insgesamt neununddreißig Solokonzerte, nach den Violinkonzerten mit zweihundertdreißig Werken die nächstgrößte Gruppe. Im Konzertblock werden auch zwei orchestrale Ouvertüren erklingen. Zunächst die zur Oper Bajazet RV 703 (manchmal auch als Tamerlano angeführt), für deren Einspielung Europa Galante 2006 den MIDEM Classical Award gewann, und eine Nominierung für den Grammy erhielt, und dann die Overtüre zu Dorilla in Tempe RV 709, die erste Oper Vivaldis für die er seine später berühmte Operndiva Anna Girò engagierte. Fabio Biondi wird sein Ensemble wie traditionell üblich vom Pult der ersten Geige aus dirigieren. In seinen Händen wird er ein seltenes Instrument halten, erbaut im 18. Jahrhundert in Parma, er hat darauf die Concerti di Bohemia für die renommierte Sammlung Vivaldi Edition der Plattenfirma Naïve eingespielt und sagt von ihm, „sein Klang ist magisch“. „Wenn ich Vivaldis Kompositionen für Violine spiele, fühle ich mich in seine Zeit versetzt und ich habe das Gefühl, wir seien gute Freunde“, resümiert Fabio Biondi, Geigenvirtuose, Dirigent und Gründer des Ensembles Europa Galante.