Texte zu den vokal-instrumentalen Kompositionen zum Herunterladen (in English)
Interview mit Jakub Józef Orliński
Antonio Vivaldi (1678–1741)
L‘Olimpiade RV 725, Vorspiel zur Oper
I. Allegro
II. Andante
III. Allegro
Arie der Anastasia aus dem 2. Akt der Oper Il Giustino RV 717 „Sento in seno ch‘in pioggia di lagrime“ (Ich fühle, wie meine Brust in einem Tränenregen ist)
Arie der Licidas aus dem 1. Akt der Oper L‘Olimpiade RV 725 „Mentre dormi amor fomenti“ (Während Du schläfst, schürst Du Liebe)
Kammer-Konzert D-Dur RV 93
I. [No tempo]
II. Largo
III. Allegro
Kantate RV 684 „Cessate, omai cessate“ (Hört auf, hört schon auf)
– Pause –
Farnace RV 711, Vorspiel zur Oper
Arie des Osmino aus dem 2. Akt der Oper La fida ninfa (Die treue Nymphe) RV 714 „Qual serpe tortuosa“ (Was für eine hinterlistige Schlange)
Arie der Anastasia aus dem 1. Akt der Oper Il Giustino RV 717 „Vedrò con mio diletto“ (Ich werde meinen Geliebten sehen)
Konzert für zwei Violinen D-Dur RV 513
I. Allegro molto
II. Andante
III. Allegro
Arie des Perseus aus dem 2. Akt der Oper Andromeda liberata (Befreite Andromeda) RV Anh. 117 „Sovente il sole“ (Oft scheint die Sonne)
Arie der Licidas aus dem 1. Akt der Oper L‘Olimpiade RV 725 „Gemo in punto e fremo“ (Still klage ich hier und jetzt)
Ensemble Matheus
Jean-Christophe Spinosi, Dirigent & Barockvioline
Laurence Paugam, Konzertmeister & Barockvioline
Petr Růžička, Sébastien Bouveron & Philippe Huynh, 1. Violine
Françoise Spinosi, Faustine Tremblay, Hélène Decoin & Veronika Svačinová, 2. Violine
Marco Massera & Laurence Tricarri, Viola
Claire-Lise Demettre & Anne-Charlotte Dupas, Violoncello
Nathanaël Malnoury, Kontrabass
Stéphane Fuget, Cembalo
Jakub Józef Orliński, Countertenor
Anna Schivazappa, Mandoline
Wien, Paris, London, Moskau, Salzburg, Madrid, New York, Buenos Aires oder ein Konzert zum 150. Jahrestag der Öffnung des Suezkanals in Kairo. Das Ensemble Matheus hinterlässt regelmäßig seine künstlerische Spur auf den bedeutendsten Bühnen der Welt. Das Ensemble aus der Bretagne, das im Jahr 2021 sein 30jähriges Jubiläum feiert, hat sich nicht nur eine starke Verbindung zu den emblematischen französischen Opern- und Konzerthäusern aufgebaut – Théâtre du Châtelet (Ensemble in Residence seit 2007), Théâtre des Champs-Elysées in Paris, Königliche Oper Château de Versailles oder Les Grands Concerts de Lyon – sondern gastiert auch regelmäßig auf vielen renommierten Podien im Ausland (Carnegie Hall in New York, Konzerthaus in Wien, Wigmore Hall in London, BBC Proms, Salzburger Festspiele, Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom u.a.). Unübersehbar ist die Zusammenarbeit mit dem italienischen Opernstar Cecilia Bartoli, die 2018 in einer gemeinsamen Aufnahme von Vivaldi-Arien beim Decca Verlag mündete. Vivaldi gehört auch ansonsten quasi zu den Hofkomponisten des Ensembles: eine Aufnahme der Oper Orlando furioso aus dem Jahr 2005 für den Verlag Naïve wurde eine vollendete Sensation. Seitdem gab das Ensemble beim selben Label im Rahmen des Projekts Vivaldi Edition weitere drei Vivaldi Opern heraus: La fida ninfa, Griselda und La verità in cimento. Für die Olympischen Spiele 2024 in Paris wird das Vivaldi-Projekt L‘Olimpiade vorbereitet, das die Welt der Musik und des Sports verbinden soll. Das Ensemble Matheus bekennt sich stolz zu seiner bretonischen Herkunft. Sie geben dort regelmäßig Konzerte (Erwähnt sei zum Beispiel das erfolgreiche Projekt Opera in der Region) und widmen sich mit großer Aufmerksamkeit edukativen Programmen. Sie werden unterstützt vom Conseil régional de Bretagne, dem Conseil général du Finistère, der Stadt Brest und dem bretonischen Ministerium für Kultur und Kommunikation – DRAC de Bretagne.
Modern, künstlerisch mutig, zutiefst menschlich, bewegt sich elegant in der Musik von Barock bis zur Gegenwart, so lässt sich der Dirigent Jean-Christophe Spinosi charakterisieren, Gründer und künstlerische Leiter des Ensemble Matheus. Neben diesem Klangkörper ist er auch regelmäßiger Gast am Théâtre du Châtelet, Théâtre des Champs-Elysées, an der Pariser Nationaloper, der Königlichen Oper Château de Versailles, der Wiener Staatsoper, am Theater an der Wien, bei den Salzburger Festspielen, im Gran Teatre del Liceu in Barcelona, im Teatro Colón in Buenos Aires und vielen weiteren. Unter anderem arbeitete er mit den Berliner und dem Wiener Philharmonikern zusammen, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem hr-Sinfonieorchester und der Königlichen Philharmonie in Stockholm. Er wurde berühmt durch seine experimentellen Produktionen auf der Queen Mary II, im New Yorker Central Park oder an Bord einer Boeing, die nach Südkorea flog. Spinosi kennt kurzgefasst keine Grenzen. Seine Karriere ist gesäumt von künstlerischen Freundschaften mit Cecilia Bartoli und Philippe Jaroussky, mit denen er mehrere für sich selbst sprechende Projekte schuf, dazu gehört sicher die Einstudierung von Rossinis Otello und La Cenerentola für die Salzburger Festspiele, auch nahm er einige weltweit außergewöhnlich erfolgreiche Alben für die Verlage Decca und EMI-Virgin Classics (er erhielt zum Beispiel die dreifache goldene Schallplatte für das Vivaldi-Album Heroes mit Philippe Jaroussky) auf.
„Orliński ist ein wirkliches Countertenor Wunder, einer der besten, die ich je auf der Opernbühne gehört habe,” schrieb Roger Parker 2019 im renommierten Magazin Opera. Sein künstlerisches Portrait wurde von den Zeitschriften The New Yorker und der polnischen Vogue abgedruckt. Allein auf seinem Facebookprofil hat er fünfundfünfzigtausend Follower und die Aufrufzahl seiner Aufnahmen bei YouTube hat die Grenze von zehn Millionen schon lange überschritten. Mit seinen dreißig Jahren gehört Jakub Józef Orliński in der gegenwärtigen Welt der klassischen Musik zweifelsohne zu den Künstlern mit den größten Followerzahlen. Orlińskis internationale Karriere begann im Jahr 2017 mit seinem Debüt beim Festival Aix-en-Provence in Cavalli Erismeně (Orimeno). Zu dieser Zeit hatte er bereits den Metropolitan Opera National Council 2016 gewonnen, ebenso den Lyndon Woodside Oratorio-Solo Competition 2016 und den Internationalen Gesangswettbewerb für Alte Musik in Polen. In den nächsten drei Jahren folgten Zusammenarbeiten mit den Ensembles Les Arts Florissants (Das Projekt Tell Me the Truth About Love unter der Regie von Robert Carsen und eine Aufführung von Vivaldis Stabat Mater mit Paul Agnew), The English Concert (Händels Tamerlano aufgeführt in der Carnegie Hall in New York, der Disney Hall in Los Angeles, dem Barbican Centre in London, dem Théâtre des Champs-Élysées, dem Theater an der Wien und weiteren), Music of the Baroque oder Il Pomo d’oro, mit dem er all seine drei Solo Alben aufnahm Anima sacra, Facce d’amore (International Opera Award 2020), und das bisher letzte Anima aeterna, welches heuer Ende Oktober herauskommt. Neben den bereits erwähnten Orten hat Orliński Debüts in der Londoner Wigmore Hall, dem Palau de la Música Catalana in Barcelona, auf dem Glyndebourne Festival in Großbritannien, bei den Händel-Festspielen in Karlsruhe, dem Verbier Festival in der Schweiz, im Opernhaus Zürich oder der Frankfurter Oper hinter sich. Er trat außerdem im Rahmen des beliebten alljährlichen Pariser Konzerts unterm Eiffelturm auf. Neben dem Gesang widmet er sich aktiv dem Breakdance, er hat sogar einige Preise damit gewonnen (zum Beispiel den vierten Preis beim Red Bull BC One Poland Cypher Competition). Dank seiner Bewegungsbegabung, seinem attraktiven Äußeren und seinem außergewöhnlichen Charisma wurde er zum Gesicht diverser Kampagnen, darunter Levi’s, Nike, Turbokolor und Samsung. Mit dem Konzert beim Musikfestival Lednice|Valtice beginnt eine intensive Zusammenarbeit mit dem Ensemble Matheus, die ihren Höhepunkt im Jahr 2024 bei den Olympischen Sommerspielen in Paris haben soll.
Jakub Józef Orliński studierte an der Universität Fryderyk Chopin in Warschau sowie an der Juilliard School in New York. Er absolvierte außerdem die renommierte Opernakademie am Teatr Wielki-Opera Narodowa (Großes Theater – Nationaloper) in Warschau. Von 2015–2017 war er Stipendiat der Fulbright Stiftung. Er nimmt exklusiv für das Label Warner Classics/Erato auf.
Schivazappa, geboren in Padua, ist eine der führenden Spezialisten für das Spiel historischer Mandolinen, ihr künstlerisches Spektrum reicht jedoch von der Alten Musik bis hin zu zeitgenössischer Musik. Sie hat mit Ensembles wie Il Giardino Armonico, Pygmalion und Atelier Lyrique der Pariser Nationaloper zusammengearbeitet. 2012 gründete sie das Ensemble Pizzicar Galante, das sich zum Ziel gesetzt hat, ein Repertoire des 18. Jahrhunderts für Mandoline und Basso continuo zu entdecken. Das Ensemble hat zwei international beachtete Alben veröffentlicht: die Uraufführungen der Mandolinensonaten von Robert Valentini (nominiert für den International Classical Music Award 2017) und die Mandolinensonaten von Domenico Scarlatti. Die musikwissenschaftliche Forschung spielt im künstlerischen Leben von Anna Schivazappa eine sehr wichtige Rolle. Die Doktorandin an der Sorbonne in Paris arbeitet seit 2017 mit der Französischen Nationalbibliothek zusammen, von der sie ein Stipendium für ihre Projekte im Bereich der Entdeckung neuen Repertoires für ihr Instrument erhielt. Sie spielt auf einer Mandoline, die 1768 in Neapel in der Werkstatt des italienischen Meisters Antonius Vinaccio hergestellt wurde.
„Vivaldis Musik ist brillant, schön in ihrer Einfachheit, obwohl sie viel Leben und Tiefe hat. Der Schlüssel dazu ist, einen Weg zu finden, mit klarer Leichtigkeit Tiefe zu schaffen, Emotionen so tief wie Liebe auszudrücken, aber mehr, als würden Sie nur Vorschläge machen. Freundlichkeit, Geheimnis, die Prägung unseres Lebens, die Melodie und der Rhythmus unserer Herzen – das ist mein Vivaldi-Thema.“ (Jean-Christophe Spinosi)
1713 führte der damals fünfunddreißig-jährige Antonio Vivaldi, bekannt als bedeutender Komponist von Sonaten und Konzerten, in Vicenza seine erste Oper Ottone in Villa auf. Von diesem Moment an war sein Leben definitiv mit dem Theater verbunden, sowohl als Komponist, wie auch als Impressario. In einem Brief von 1737 bezeichnet er sich sogar als„ freiberuflicher Unternehmer“. In Italien hinterließ er Opernspuren in Rom, Mantua, Pavia, Verona und natürlich in Venedig, wo 1637 das erste öffentlich zugängliche Theater der Welt eröffnet wurde. In einem Brief an seinen Gönner, den Marquis Bentivoli, schrieb sich Vivaldi 1737 die Autorschaft von vierundneunzig Opern zu. Heute kennen wir etwa fünfzig davon. Zu den erfolgreichsten gehört L’Olimpiade RV 725 von 1734 nach einem Libretto von Pietro Metastasio (1698–1782). Die Handlung der Oper mit einer antiken Prophezeiung und zwei Liebespaaren, die auf komplizierte Weise den Weg zueinander suchen, spielt vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele und somit ist es nicht uninteressant, dass das Ensemble Matheus und Jakub Józef Orliński die Aufführung der Oper bei den Olympischen Sommerspielen in Paris vorbereiten. Zum Eröffnungskonzert des Festivals erklingen die Overtüre und zwei beeindruckende Arien von Licidas, dem Sohn des Königs von Kreta: Das lyrischere Mentre dormi amor fomenti und das dramatische Gemo in punto e fremo, das von den Wutausbrüchen im Herzen erzählt. Auf dem Programm steht auch die schöne Arie Sovente il sole aus der Oper Befreite Andromeda RV Anh. 117, die in dieser Arie eine Stimme mit dem betörenden Klang der von Vivaldi selbst gespielten Soloviolinen vereint, sowie zwei Nummern aus der Oper Il Giustino RV 717: Sento in seno ch‘in pioggia di lagrime, in welcher der Sänger von einem charmanten Streicherpizzicato begleitet wird, und eine der heute berühmtesten Arien der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Vedrò con mio diletto. „Vivaldi hatte seine Geheimnisse. Wir können uns gut vorstellen, wie es gewesen sein muss, von all den Mädchen aus dem Ospedale della Pietà umgeben zu sein, unter denen er meistens komponierte, warum seine Musik so leidenschaftlich und liebevoll ist. Und so sind seine Opern voller Lebenskonflikte.“, sagt Jean-Christophe Spinosi über Vivaldis Opernwerk. Ein bemerkenswertes Stück des Abends ist die Kantate RV 684 „Cessate, omai cessate“, in fünf Teile untergliedert, musikalisch sehr reich, quasi in ständiger Bewegung. Es handelt sich um eine von Vivaldis weltlichen Motetten, deren Charakter aber dem von geistlichen Motetten sehr nahe ist. „Der Grat zwischen dem Säkularen und dem Spirituellen war für Vivaldi sehr schmal. Seine spirituelle Musik ist nie nur eine Kanzel, es finden sich in ihr stets viel Liebe und Noblesse“, sagt Spinosi. Blöcke vokal-instrumentaler Nummern werden durch rein instrumentale Kompositionen sensibel von einander abgeteilt, darunter das beliebte Kammerkonzert D-Dur für Laute RV 93, das heute Abend ganz nach historischem Vorbild auf der Mandoline gespielt wird. Vivaldi komponierte es für den tschechischen Adligen Johann Joseph von Wrtby d. Älteren (1669–1734), obwohl die Erkenntnisse der letzten Jahre eher zu der Annahme führen, dass die Konzerte seinem Neffen Johann Joseph von Wrtby d. Jüngeren (1713–1782) gewidmet waren, einem sehr talentierten Lautenisten. „Das Programm ist eine Art große Tafel, gedeckt mit kleinen Operninseln, weltlichen Motetten und Konzerten für ein oder mehrere Instrumente, ein Kaleidoskop von Vivaldis Werk, mit all dem Glück, das sich in Vivaldi überschlug, und mit all seinen Mysterien“, schließt Jean-Christophe Spinosi.